Der Tisch und das gemeinsame Essen in Kunstrezepten aus der transkulturellen Küche

„Eat-Art transkulturell”

Caroline Charlotte Kaiser
Wien, 2009

Eat-Art als Kunstform  ermöglicht die sinnliche Wahrnehmung komplexer transkultureller Prozesse. Der Tisch und das gemeinsame Essen als Stilmittel bieten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten um Formen der Gemeinschaft auszudrücken. Der Tisch als Kommunikationsort, an dem Essen, Zeit und Emotion geteilt wird.

Der Tisch, insbesondere der Esstisch oder Gästetisch, dient dabei als Metapher, soziales Sinnbild und zentrales gestaltendes Element. Das zugrunde liegende kulturelle Konzept in der Begegnung zwischen Kulturen ist hier jenes der Transkulturalität basierend auf den Aufsatz des Philosophen Wolfgang Welsch „Transculturality – the Puzzling Form of Cultures Today”. Entgegen des traditionellen Konzeptes der Monokulturen, das einzelne Kulturen als autonome Inseln sieht, die im besten Fall nebeneinander bestehen, richtet der transkulturelle Ansatz den Fokus auf das Miteinander, auf die Verwobenheit der Kulturen, die heterogene und hybride Identität. Während auch die Konzepte der Interkulturalität und der Multikulturalität ihren Ausgangspunkt im Trennenden sehen, begründet sich die Transkulturalität im Gemeinsamen, ohne dabei eine uniforme Weltkultur anzustreben.

Der Fokus richtet sich auf die Thematisierung des sozialen und kommunikativen Aspekts des Teilens eines Tisches zum Mahl, dem Wechselspiel der Identitäten und der Metamorphose. In Form von Austausch und Interaktion zwischen den ProjektteilnehmerInnen aus unterschiedlichen Kulturen werden Gemeinsamkeiten, Unterschiedlichkeiten und Überlappungen ausgelotet.

Inter-, Multi-, Transkulturalität

Basierend auf den Aufsatz des Philosophen Wolfgang Welsch „Transculturality – the Puzzling Form of Cultures Today”, steht Interkulturalität für den Versuch der Kommunikation und der Förderung des Verständnisses zwischen einzelnen, jedoch in sich geschlossenen Kulturen. Multikulturalität widmet sich den Konflikten verschiedener Kulturen, die in einer Gesellschaft zusammen leben, sucht Wege der gegenseitigen Toleranz, mündet aber in der alltäglichen Praxis oftmals in Gettoisierung und kulturellem Fundamentalismus. Transkulturalität bezieht sich auf die Komplexität moderner Kulturen und auf die heutige Vernetzung und Austausch unterschiedlicher Lebensformen, Werten und Weltanschauungen. Kulturelle Identität ist hier nicht gleich nationaler Identität, sondern es geht um das Erkennen „fremder” Elemente in uns. Diese transkulturellen Elemente in der eigenen Identität agieren wie gemeinsame Ankerpunkte in der Überwindung traditioneller kultureller Schranken und führen zu einer neuen kulturellen Diversität. So geht es nicht mehr um die Gegenüberstellung klar voneinander abgegrenzter Kulturen, sondern um die Gleichzeitigkeit von Überlappungen und Unterschiedlichkeiten. Anstelle von Trennung und Grenzen treten Austausch und Interaktion.

Eat-Art als künstlerisches Medium, der Tisch als Stilmittel

Eat-Art als Kunstform ermöglicht die sinnliche Wahrnehmung und Umsetzung komplexer transkultureller Prozesse. Die Moderne definiert sich stark durch die Trennung von Natur und Kultur. Die industrialisierten Ernährungsformen des schnelllebigen 21. Jahrhunderts führen in diesem Kontext oft zu einer Selbstentfremdung des Menschen. Transcultural Eat-Art versteht sich als dem Leben nahes Gesamtkunstwerk, das alle Sinne anspricht. Entgegen Adornos Ansiedelung der „kulinarischen Kunst” in der Anästhesie und Sinnabstumpfung will das Kunst-Essen die Sinnesempfindung für eine differenzierte sinnliche Wahrnehmung schärfen. Dabei wird der Bogen über die Anregung der sechs Formen des Bewusstseins – Sehen, Hören, Geruch, Geschmack, Berührung und Geist/Seele – zur Selbstwahrnehmung gespannt.

Transcultural Eat-Art unternimmt den Versuch das Konzept der Transkulturalität auf kulinarisch künstlerische Weise zu visualisieren und umzusetzen. Dabei werden in der Interaktion zwischen den ProjektteilnehmerInnen aus unterschiedlichen Kulturen sowohl gemeinsame als auch eigenständige Referenzpunkte kultureller Identität gesucht und in neuen Landschaften vereint.

Künstlerisches Mittel ist die Nahrung. Der Tisch ist „Bildträger”, funktionales Design-Objekt und Symbol. Als Symbol steht der Tisch für Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, Vertrautheit, Intimität. Der Tisch als Kommunikationsort, an dem Essen, Zeit und Emotion geteilt wird.

Der Esstisch und die Tischgemeinschaft, soziale und kulturelle Bedeutung

Die zentrale soziale Rolle des gemeinschaftlichen Mahls ist bereits 380 v Chr mit den Symposien Platons belegt, welche jeweils als ausschweifendes Gastmahl den Rahmen für philosophische Debatten bildete. Das gemeinsame Essen und die Tischgemeinschaft sind für das Zusammenleben von Menschen, gleich welcher Kultur, von entscheidender Bedeutung. Das Kulturphänomen Essen generiert immer eine eigene Form der Kommunikation. So versammelt sich die Familie um den gedeckten Tisch zum Essen, zur Kommunikation und als Symbol der Zusammengehörigkeit. Am Kommunikationsort Tisch werden festliche Rituale zelebriert, Alltag und Festtag strukturiert. Die Art wie der Tisch gedeckt wird und der Aufbereitung der Speisen spiegeln die kulturelle Identität wider. Ob im familiären Rahmen, zu gesellschaftlichen oder anderen Anlässen, gemeinsam an einen Tisch zu sitzen, demonstriert immer eine gewisse Einheit. Vertrautheit oder Intimität sind dabei entweder Voraussetzung oder können durch das gemeinsame Mahl erzeugt werden. Von der Tafel als Repräsentationsinstrument und sozialem Status zum „Tisch für zwei” spannt sich ein breiter Bogen unterschiedlichster Tischgemeinschaften. So bietender Tisch und das gemeinsame Essen als Stilmittel vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten um Formen der Gemeinschaft auszudrücken.

Der Gästetisch
kulturelle Tradition in Europa und Japan

Der Gästetisch ‚La table d’hôtes‘, bedeutet, dass die Gäste alle dasselbe Menu am selben Tisch essen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war es in Frankreich üblich, dass Hotelgäste gemeinsam an einem langen Tisch saßen und miteinander tafelten. Es gab jeweils ein einziges Menü für alle Anwesenden. Reisende aus aller Welt trafen so aufeinander, tauschten sich aus.

Im englischen Sprachgebrauch taucht dieser Begriff Anfang des 17. Jahrhunderts auf. Es ist ein Anzeichen dafür, dass sich die Kultur des Gästetisches in Europa verbreitet hat. Heute gehören die Tables d’hôtes in Frankreich und in Belgien oft als Angebot zu den Gästezimmern; dabei genießt der Gast gemeinsam mit seinen Gastgebern und anderen Besuchern das Abendessen. Auch in Wien gibt es nunmehr Lokale, die mit einem oder mehreren langen Tischen ausgestattet sind – auch bekannt als ‚Einheitstisch‘. Diese Ausstattung dient vor allem der Kommunikation, es kann zu beliebigen Zeiten und in beliebiger Anzahl, je nach freien Plätzen, mit individueller Konsumation Platz genommen werden.

Die japanische Version des ‚table d’hôtes‘ wird als Teishokubezeichnet. Hier liegt der Hauptaugenmerk allerdings auf dem Anbot eines fixen Menus zu einem günstigen Preis. Kulturell gilt in Japan, dass das gemeinsame Essen aus einem Topf eine engere Freundschaft bewirkt. Das Kochen am Tisch wiederum hat in Japan eine starke Tradition und ist bekannt als Teppanyaki (teppan = Eisenplatte, yaki = grillieren), übersetzt:“kochen auf der heißen Platte“. Die Zubereitungsart gilt als besonders gesund, da sehr fettarm gekocht werden kann. Ein Teppanyaki-Kochfeld misst rund drei Meter.

Eat-Art – kurzer Überblick zu Kochen als Kunst

„Jede Speise teilt mit, wer der Koch oder die Köchin ist, in welcher Zeit und Kultur sie leben, in welcher Gegend sie leben. Sie stellen mit jedem Gericht ein Dokument ihrer Existenz dar und identifizieren sich mit diesem“. Peter Kubelka

In den 1920er und 30er Jahren wurde die kulinarische Praxis bei den Futuristen, einer italienischen Künstlergruppe um Marinetti und Fillià, zum Gegenstand und Inhalt der modernen Kunst. Die Inszenierung des Kochens als Kunst führte bei den Futuristen zur Installation einer Künstlerküche in Form eines Restaurants, das auch als Ausstellungsraum und Austragungsort kulinarischer Happenings fungierte. 1931 wurde so in Turin die Experimentalküche namens ‚Santopalato‘ (Taverne zum heiligen Gaumen) eröffnet. Daniel Spoerri führte in den 1960er diese Tradition fort und eröffnete 1968 in Düsseldorf das „Restaurant Spoerri”. Peter Kubelka, der 1934 in Wien geboren ist, erklärte schließlich, dass es sich bei der Zubereitung des Essens „um eine bildende, ja um die älteste Kunst überhaupt handelt”. Dabei definiert Kubelka das Kochen als kommunizierendes Medium: 1980 führte er an der Städelschule in Frankfurt am Main die Analyse des Kochens als Unterrichtsfach ein und leitete dort die „Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung“. „Jede Speise teilt mit, wer der Koch oder die Köchin ist, in welcher Zeit und Kultur sie leben, in welcher Gegend sie leben. Sie stellen mit jedem Gericht ein Dokument ihrer Existenz dar und identifizieren sich mit diesem“. 1997 hielt Eat Art Einzug in die Documenta X mit der Arbeit von Christian Höller und Rosemarie Trockel „Ein Haus für Schweine und Menschen”, wobei es um eine zentrale Problematik der modernen Landwirtschaft ging, der Massentierhaltung und dem menschlichen Umgang mit Nutztieren. Der in Singapur geborene Künstler Matthew Ngui präsentierte auch auf dieser Documenta seine interaktive Installation und Performance ‚You can order and eat delicious poh-piah‘. 2002 widmet das Kunstforum international/D zwei Bände (Bd 159 und 160) dem Essen und Trinken in der Kunst (Essen als künstlerisches Motiv, Nahrung als künstlerisches Mittel und Kochen und Speisen als Aktion). Es erscheint die „große Enzyklopädie zum A-Z des Essens und Trinkens in der bildenden Kunst”.

Stano Buban, Hasta La Muerte