Vincent + Feria, Paris-Venezuela,
im Gespräch mit B.A. Lehmden

Francoise Vincent und Elohim Feria sind eine Arbeitsgemeinschaft im künstlerischen Bereich – er kommt von der Objektgestaltung und sie kommt aus der Malerei. Seit 1996 arbeiten sie an Exponaten, die für die Evolution und Entwicklungsfähigkeit des Körperlichen stehen.

So haben sie unter anderem eine Auslage zu einem Atelier gestaltet, die auf den künstlerischen Schaffensprozess antworten und auf die Notwendigkeit der physischen Anwesenheit des jeweiligen Künstlers gegenüber seinem Werk hinweisen wollte. Das war als Performance gedacht, eine Installation, die dem Publikum während eines ganzen Monats zugänglich war und deren Inhalt. Es war einen Denkanstoss, ein Bild und einen Text zum Thema des jeweiligen Tages anzubieten. Ein andermal gestalteten sie mitten in Paris einen Ort der Begegnung im öffentlichen Bereich; es war ihr „Haus“, T-förmig angelegt und aus 12 Pfeilern bestehend, die einen suggerierten Raum einfassten, der nicht nur visuellen, zwischenmenschlichen, sondern unter anderem auch gastronomischen Begegnungen diente mit Essenseinladungen und Gegeneinladungen. Diese Aktion – aber – basierte auf komplexen Zusammenhängen und war kein bloßer Willensakt. Die Erfahrungen, die sie später auf ihrer Nord-Afrika-Expedition machten, sollte ihre Arbeit stark beeinflussen und formen. Das Reisen wurde seither zum dynamischen Leitmotiv ihrer Kunst.

Ihr Bedürfnis mit Menschen zusammenzutreffen erlaubte es ihnen immer wieder auch solche zu treffen, mit denen es Spass machen sollte zusammen zu arbeiten. So waren sie auch Caroline Fekete-Kaiser begegnet, wie sie damals in Südafrika eine Schnecken-Perfor-mance inszeniert hatten. Sie wollen in ständigem Austausch leben und arbeiten, Kontakt aufnehmen und am Anderen teilnehmen.

Dabei wird ihr Augenmerk stets auf das Neue geworfen, sie – als eine Art „Kolporteure“- nehmen jedoch nicht nur auf, sie geben auch wieder und hinterlassen ihre Spuren wohin sie auch kommen. So sind sie heute zum Beispiel immer noch im Begriff die Eindrücke, die sie auf ihrer Reise durch den afrikanischen Mittelmeerraum machten, zu reproduzieren – als eine Art Danksagung an jene Gastfreundschaft, die ihnen begegnet war und ihnen überallhin gefolgt war.

Allgemein spielt die Frage der Ethnologie eine essentielle Rolle in ihrer Arbeit und sie empfinden den Akt Dinge zu „verbinden“ als eine Art Religion, denn wenn es überhaupt eine Religion in der Kunst gibt, dann ist es gerade jener Akt Raum an sich, Menschen, Ideen zu verbinden und – im Anschluss daran – Kulturen durch kleine Aktionen , durch Mikroelemente miteinander zu verbinden.

Die „Piraten Universität“, die Francoise und Elohim ausgerufen haben, steht genau dafür, sie ist eine zeitlose, eine immer vorhandene Institution und entspricht eher einer Einstellung als einem konkreten Auftrag. Sie versteht sich als Haltung anderen Menschen gegenüber, fremden Kulturen und deren anderen Wissensquellen gegenüber, dem Handwerk und Können anderer Völker gegenüber. Sie soll den Austausch zwischen Menschen fördern, unsere Beziehungen verändern, die verschiedenen Denkansätze aber nicht einander gegenüber stellen, sondern trachten diese zu verbinden und für deren Zirkulation sorgen. Die „Piraten Universität“ entspringt einem kognitiven, immateriellen Kapita-lismus und umfasst ein – üblichen Forschungs- und Bildungsstätten widersprechendes – andersartiges Werte- und Wissensdenken und -streben.

Die Bücher, die sie im Anschluss über ihre Arbeiten schreiben, entsprechen dem Bemühen ihre Kunst über die Schrift zu formalisieren, nicht jedoch – im landläufigen Sinne – dem Bedürfnis die Arbeit zu illustrieren. Sie schreiben hierbei für eine Plattform von sowohl verschiedenen Generationen als auch verschiedenen Ursprungs – sie wollen Sprache „versetzen“, ihre Kunst über die Sprache transportieren.

Es ist ihnen ein Anliegen vom eigenen Kunstschaffen und deren Zusammenhängen immer wieder selbst überrascht zu werden, die Arbeit soll sie etwas lehren, sie fühlen sich dabei immer einer gewissen Bescheidenheit verpflichtet. Es erscheint ihnen wichtig, dass der Künstler per se wieder mehr als politisches Element verstanden und aufgefasst wird und in weiterer Folge soll auch jeder Diskurs über Kunst und Künstler eher dem Publikum als der Kunstkritik überlassen bleiben. Ebenso ist es – wie sie betonen – wichtig, dass der Künstler heute noch Zeit hat, denn er ist einer der Letzten, die sich das noch leisten können – und das ist hier keine Frage von Freizeit oder gar von Nichtstun.

Die Installationen von Francoise Vincent und Elohim Feria entsprechen einer Ästhetik, die nichts kostet obwohl es zum Glück bis heute so scheint als ob es in der Gesellschaft immer irgendwo Geld für die Kunst gäbe.

Die fortwährende Dokumentation über ihre Arbeiten dient dazu in der Gegenwart zu ankern und sie empfinden sich auch dabei eher als abwartende Zuschauer – welches werden die Worte sein, die Gestalt annehmen? In der Präsentation gibt es dann verschiedene Etappen, es geht darum mit dem Raum an sich zu spielen, wohl auch zu „schöpfen“, zu erschaffen aber auch jedes Mal einen weiteren Stützpunkt für die „Piraten-Universität“ zu erobern. Dazu ist es aber unerlässlich aus den Mauern zu treten, die Gebäude zu verlassen, sich an der Außenwelt zu orientieren und so bezeichnen sie sich als eine Institution der Gegenwart im Gegenwärtigen.

Im Überfluss der Eindrücke, von denen man überschwemmt wird, ist es immer dienlich eine gewisse Zeit verstreichen zu lassen und zu warten was danach „heraus“ kommt. Das ist eine einfache logische Abfolge – sowohl die Arbeit am Werk, die Zeitbestimmung des Werkes und wie das Werk an sich, sich im Zeitlichen einfügt und jedes Mal ein offener Prozess, noch nicht abgeschlossen und den es noch zu überprüfen gilt, mittels einer vergeistigten Mental-Ökologie. Der Versuch zwischen dem jeweiligen Aufenthaltsort und deren menschlichem Kontext einen Bezug zu schaffen ist das Leitmotiv in ihrem künstlerischen Bemühen.

Die Reise nach Gyzicko im Juli 2004 steht in unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer zuvor unternommenen Expedition in die Antarktis, wo Francoise und Elohim sich einem Team von Wissenschaftlern – Physikern – angeschlossen hatten, die aufgebrochen waren um für ihre Forschung Datenmaterial zu sammeln.

Die Antarktis und die Region der tausend masurischen Seen , nahe der Ostsee – Rest der Gletscher – war ein bestechendes Argument, ein fast zwingender Zufall, ein Zusammenhang den es zu überprüfen galt. Der historische Ort der Festung Boyen hat tief beeindruckt, ebenso wie der Besuch der Wolfsschan-ze, des Führerbunkers mit allen Elementen des men-schlichen Leidens. Nebenbei hat der – im Zuge des Sommersymposiums der KuturAXE – gelebte körperliche Einsatz, der heute allgemein zuoft vernachlässigt wird, mit seinen langen Fußmärschen viel positive Energie vermittelt.

Warum aber suchen sich Künstler einen solchen Ort aus um zu arbeiten? Es scheint als ob dort im Jetzt am Heute und am Morgen gearbeitet wurde ohne jedoch das Gestern außer acht zu lassen, und es gab hier Gelegenheit Fragen zu entwickeln, sich Fragestellungen zu öffnen, Fragen darzulegen, sie miteinander zu erörtern ohne ihnen jedoch sofort unmittelbare Antwort zu schulden.

Was Francoise und Elohim in Gyzicko gleich aufgefallen war, waren überall an den Hausfassaden diese ewiggleichen Balkone in ihrer vielfältigen Farbgebung, der offensichtliche Widerspruch aber auch – denn einerseits wird ihnen hier eine besondere Bedeutung beigemessen, die sich etwa im ausführlichen Blumenschmuck äußert, ohne dass sie jedoch von den Balkonbesitzern wirklich genützt oder benützt würden. In der Vielfalt von Eindrücken, die in Gyzicko auffielen, war es aber auch gerade jener tiefere Sinn der räumlichen Vermischung, dieser überall präsente Übergang von privatem Raum zu öffentlichen Raum, der ins Auge sprang. So wollten Francoise Vincent und Elohim Feria, auf ihre Art, die Bewohner von Gyzicko grüssen, ihnen eine Reverenz erweisen – mit einem Augenzwinkern… Es sollte dabei aber nicht um das Erregen von Aufmerksamkeit gehen, denn im Gegenteil Gyzicko hatte ja mit seinen bunten Balkonen umgekehrt ihre Aufmerksamkeit erregt. Und so kam es, dass die beiden Künstler sich mit diesem „Accessoire“ als Blickfang an vier oder fünf Orten im Städtchen installierten, ihn aufstellten, ihn ausstellten. Das war der einfache Akt der Fortbewegung eines ausgewählten Objektes, ein Prozess des Verschiebens, das Versetzen eines Merkmals – die „Transplantation“ eines Signals.

So wie sie in diesen drei Wochen Gyzicko „angenommen“ und lieben gelernt haben als ihr „Haus“, als einen Teil ihrer Welt, so mag unbewusst das Element des Balkons auch seiner „Latinität“ wegen, in sie eingedrungen sein. Anspielung an Liebeleien und Liebesserenaden – bezeichnender Weise hat der Handwerker, den sie an der Peripherie von Gizycko gefunden hatten und den sie wegen der Materialbeschaffung kontaktiert hatten, dem Projekt auch gleich den Namen „Romeo und Julia“ gegeben.

Immer wenn sie auf Reisen an Objekten arbeiten, ist es ihnen ein Anliegen sowohl heimische Handwerker zu beschäftigen als auch alles Material vorort zu beziehen denn das ist wie ein Öffnen der Türen. Kunst ist nicht mehr als Monopol der Galerien und Museen anzusehen, sondern es geht vielmehr darum den Begriff auszudehnen, auf das Handwerk mit zu übertragen und letztlich auch bis in die Industrie- und Randgebiete zu tragen.

Der Balkon wurde nun also von Francoise und Elohim an verschiedenen Orten aufgestellt um sich jeweils an die neue Umgebung anzulehnen, sich förmlich dort zu infiltrieren. Die Aktion aber sollte nichts Spektakuläres an sich haben und schon gar keine Provokation sein, sie wollten bloß einfach den Kontakt, Fühlung aufnehmen zu den Einwohnern von Gyzicko, die sie an den Performance-Stätten vorfanden. Die Menschen am Obst- und Gemüsemarkt, beispielsweise, waren sehr interessiert und neugierig, sie wollten wissen wo man dieses Element kaufen könne und waren äußerst überrascht zu erfahren, dass es auf der Festung Boyen angefertigt worden war – einem Ort, der ihnen bisher nur in militärischem Zusammenhang bekannt gewesen war und wo nun also Handwerkstücke erzeugt wurden?

In diesem Rechteck der persönlichen Intimität saßen sie dann im Zuge ihrer Performance und plauderten, lasen, nahmen offensichtliche Freizeithaltungen an, faulenzten (was auch die Idee des menschlichen Rechts auf Faulheit und Non-Produktivität transportieren sollte), schrieben Postkarten, verzehrten ein Eis – wiederum typische touristische Körperhaltung…

In diesem Drang dem Anderen zu begegnen und sich auszutauschen (mit allem Handicap die Landessprache weder zu verstehen, noch zu sprechen) hatten sie dennoch Begegnungen und machten interessante Erfahrungen. Während die junge Generation sehr offen an sie herantrat, neugierig war und keine Ängste hatte auch die intime „Schwelle“ ihres Balkons zu überschreiten, sich einfach dazu gesellte -, war bei der älteren Generation eine gewisse misstrauische Anspannung erkennbar.

Das ist bei Arbeiten, bei denen der Künstler sich „aussetzt “ – noch dazu im öffentlichen Raum – immer ein gewisses Risiko und es muss folglich auch immer wieder zu sehr gegensätzlichen Reaktionen kommen, denn jede Exponierung des Einen birgt bereits latent die Verletzung des Anderen in sich. Einen wichtigen Bestandteil der Konzepte von Francoise Vincent und Elohim Feria nimmt daher auch der psychologische Aspekt ein – nämlich Grenzen zu wahren, fremdes Territorium und den Raum des Anderen zu respektieren.

Stano Buban, Hasta La Muerte